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„Ich sehe den Fußball heute kritischer.“ – Prof. Dr. Timm Beichelt präsentierte Studie „Ersatzspielfelder“

Wie nutzen politische Akteure den Profifußball als Ersatzspielfeld? – Dieser Frage geht Politikwissenschaftler Prof. Dr. Timm Beichelt in seinem gerade erschienenen Essay „Ersatzspielfelder – zum Verhältnis von Fußball und Macht“ nach. Die erstmalige Buchvorstellung am 15. Mai kommentierten Politikwissenschaftler Prof. Dr. Michael Minkenberg und Linguist Dr. Peter Rosenberg.

„Fußball ist für mich als Politikwissenschaftler ein Anwendungsbeispiel für ein Politikfeld, in dem die institutionalisierte Politik wenig zu sagen hat. Es gibt keinen Sport- und Fußballminister; gleichzeitig sucht die Politik die Nähe zum Fußball, weil er eine große gesellschaftliche Bedeutung hat“, erläuterte Prof. Dr. Timm Beichelt, der die Beziehung von Fußball, Macht und Politik anhand von Beispielen aus Deutschland, Frankreich und Russland untersucht.

Der Titel des Essays, „Ersatzspielfelder“ weise dabei bewusst drei Bedeutungs-, bzw. Analyseebenen auf: Als Fußballfeld impliziere er den Blick auf den Fußball, dessen Institutionen und Handlungslogiken; als Politikfeld lenke er das Interesse auf die Sportpolitik als einen Politikbereich und als gesellschaftliches Feld im Sinne des französischen Soziologen Pierre Bordieu ermögliche er die Analyse der gemeinschaftsbildenden Funktionen von Fußball.

Beichelt stellte seinen Essay anhand von Thesen vor. – Eine davon: In Deutschland übertrage sich die gesellschaftliche Bedeutung des Fußballs auf die Macht der Verbände, die diese Position ausnutzen: „Der Deutsche Fußballbund wird niedrig besteuert und muss in seiner Verbandsarbeit kein Eingreifen der Politik befürchten.“ Zahlreiche seiner Anfragen an den Verband zur Gemeinnützigkeit und zu den Einnahmen seien unbeantwortet geblieben. „Der DFB beschreibt seine Tätigkeit als gemeinnützig. Meine Berechnungen haben jedoch ergeben, dass nur ein Bruchteil des Jahresumsatzes von ca. 290 Millionen Euro in eindeutig gemeinnützige Bereiche fließt. Nähere Auskunft gibt der DFB aber nicht. Die Prinzipien der demokratischen Kontrolle, die auch in der Verbandsarbeit gelten sollten, werden hier nicht eingehalten“, resümierte Beichelt.  

Prof. Dr. Michael Minkenberg erläuterte in seinem Kommentar, weshalb er den Fußball eher aus einer ökonomischen als aus einer politikwissenschaftlichen Perspektive betrachtet. „Dominanz und Unterordnung gibt es nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wirtschaft“, so Minkenberg und bezog sich auf das Verhältnis von Fußballverbänden und Staat. Im Fußball kämen die Gemeinschaft des Sports und die Profitorientierung der Vereine und Verbände zusammen. „Die Besonderheit der Gemeinschaft im Fußball ähnelt der Corporate Identity in Unternehmen. In Unternehmen wie im Fußball besteht die Analogie zur Familie, in der alle zusammenhalten.“

Dr. Peter Rosenberg unterstrich die gesellschaftliche Wirkung des Fußballs mit dessen Inszenierung von Gesellschaft als Gemeinschaft: „Fußball macht Gemeinschaft erlebbar, sowohl beim gemeinsamen Zuschauen im Stadion, als auch beim Public Viewing, das das individuelle Fußball-TV-Erlebnis seit einigen Jahren zum Gemeinschaftserlebnis macht.“

„Ich sehe den Fußball heute kritischer“, fasste Beichelt zum Abschluss der Buchvorstellung zusammen, die im Rahmen des Europa-Kolloquiums des Viadrina Instituts für Europa-Studien (IFES) stattfand. Heute könne er sich Fußballspiele nicht mehr so unbeschwert anschauen wie noch vor zwei Jahren.

Der Band „Ersatzspielfelder – zum Verhältnis von Fußball und Macht“ ist Anfang Mai im Suhrkamp Verlag erschienen. (LW / MG)

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