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„Viele schätzen sich selbst viel zu schlecht ein“ – Diskussion mit Aladin El-Mafaalani und Katja Urbatsch über „First Generation“-Studierende

Was sind „First Generation“-Studierende, wieviele von ihnen gibt es und wie können Hochschulen sie unterstützen? Diesen Fragen widmete sich eine Online-Diskussion am 4. November mit dem Soziologen und Autor Prof. Dr. Aladin El-Mafaalani und Katja Urbatsch, Gründerin von Arbeiterkind.de. Zu der Veranstaltung im Rahmen des Diversity Audits an der Viadrina hatte der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft eingeladen.

„An den Hochschulen ist es noch nicht richtig durchgesickert, dass es fast die Hälfte der Studierenden sind, die aus nicht-akademischen Haushalten kommen“, leitete Bettina Jorzik vom Stifterverband die Diskussion ein. Dass diese Zahl von „First Generation“-Studierenden irreführend sein kann, erläuterte Aladin El-Mafaalani in seinem Eingangsstatement. Ein entscheidendes Problem sei, dass nur die Kategorie des Bildungshintergrundes der Eltern erfasst ist. „Unter den Nichtakademiker-Kindern sind dann aber auch zum Beispiel die Kinder von Franz Beckenbauer oder Heiner Kamps; viele Kinder, deren Eltern Unternehmer sind und ein höheres Einkommen haben als ich als Lehrstuhlinhaber. Die landen alle in der Spalte ‚benachteiligt‘“, so El-Mafaalani. Ziehe man eine Kombination aus Bildung, Beruf und Einkommen der Eltern hinzu, sind es nicht mehr 25 Prozent „Arbeiterkinder“, die studieren, sondern maximal 10 Prozent; während von den „Akademikerkindern“ aus Haushalten mit hohem Einkommen fast 100 Prozent studieren. „Das ist dann wirklich Ungleichheit.“
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Dass Studierende aus akademischen Haushalten an deutschen Hochschulen überrepräsentiert sind, stellte auch Katja Urbatsch fest: „In der Bevölkerung gibt es 70 bis 80 Prozent Nichtakademiker, an den Unis nur knapp 50 Prozent.“ Mit der von ihr mitgegründeten Initiative Arbeiterkind.de unterstützt sie „First Generation“-Studierende. Dabei geht es zum einen um reale oder befürchtete Finanzierungsschwierigkeiten – aber auch darum, Ängsten und Unsicherheiten zu begegnen. „Viele schätzen sich selbst viel zu schlecht ein“, so Urbatsch. „Zudem leben sie zwischen zwei Welten: Zu Hause müssen sie sich erklären, warum sie studieren, und in der Uni fühlen sie sich nicht zugehörig, weil alle anderen vermeintlich schlauer sind.“ Dabei haben Bildungsaufsteiger laut Katja Urbatsch zahlreiche Stärken: „Häufig können sie besser mit unbekannten Situationen oder begrenzten Ressourcen umgehen, sind lösungsorientiert, haben ein größeres Risikobewusstsein, ein bescheidenes Auftreten und eine hohe Frustrationstoleranz.“

Der Soziologe Aladin El-Mafaalani sieht neben den Hochschulen aber vor allem auch die Politik in der Pflicht: „Das Bildungssystem ist in den vergangenen Jahrzehnten expandiert, ohne dass die Aufträge der Institutionen sich verändert haben. Die Universitäten tun immer noch so, als würden sie eine gewisse kleine übersichtliche Elite bei sich haben, aber de facto gibt es heute mehr Erstsemester an Hochschulen als Auszubildende. Das hat aber nicht dazu geführt, dass sich die Benachteiligung und Ungleichheit verringert hat.“ Für die, die jetzt nicht studieren, sei es viel schwerer geworden, einen Platz in der Gesellschaft zu finden. „Ein Studium ist wiederum kein Alleinstellungsmerkmal mehr. Die Dinge, die dann einen Unterschied machen, sind nicht mehr leistungsorientiert. Das macht die Ungleichheit noch einmal größer und an ökonomischen Faktoren fest“, so der Soziologe.

Zu der hochschulöffentlichen Videokonferenz hatten sich rund 25 Studierende und Mitarbeitende von der Viadrina und zwei weiteren Universitäten eingeklickt. Die Europa-Universität nimmt noch bis Ende 2020 am Diversity Audit des Stifterverbandes teil. (UP)

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