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„Wenn die Menschenwürde angegriffen wird, müssen wir kämpferisch sein“ – Diskussion über erinnerungspolitische Konflikte in Gedenkstätten

Kann die Arbeit in NS-Gedenkstätten wertfrei sein? Und wie geht man mit unterschiedlichen Geschichtsdeutungen von Opfergruppen um? Eine jetzt online verfügbare Podiumsdiskussion über „(NS-)Gedenkstätten als Arenen erinnerungspolitischer Interessen“ bildete den Auftakt eines Kooperationsprojektes des Viadrina Instituts für Europastudien (IFES) mit dem Willy Brandt Zentrum in Wrocław und der Universität Stettin über „Public History und die Krise der Liberalen Demokratie“.

Die Grundannahme des von Dr. Anja Hennig geleiteten Forschungsprojektes lautet: Heutige Geschichtsdeutungen lassen sich als Positionierung für oder wider die liberale Demokratie lesen. Die gemeinsame Fragestellung der Projektpartner: Welche Rolle spielen die lokalen und regionalen Orte in diesem Widerstreit? Das erste von drei geplanten Werkstattgesprächen Mitte November konzentrierte sich auf die Rolle von Gedenkstätten.

„Gedenkstätten sind immer Arenen der Aushandlung“, betonte Dr. Axel Drecoll, Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten. Sein Anliegen sei es, Geschichte als interpretativ darzustellen, wo sie das auch tatsächlich sei. Wie kritisch diese Aushandlung werden kann, wusste Dr. Andrea Genest, Leiterin der KZ-Gedenkstätte Ravensbrück, zu berichten. An Jahrestagen der Befreiung des Konzentrationslagers kam es in der Vergangenheit immer wieder zu Konflikten zwischen polnischen Nationalistinnen und Nationalisten und anderen Gruppen. „Wenn beim Gedenken die Armbinde einer polnischen Organisation getragen wird, die Juden verfolgte und es zugleich zwei Frauen dieser Organisation gab, die in Ravensbrück inhaftiert waren, dann ist eine klare Differenzierung des Gedenkens nötig“, sagte Andrea Genest.

Gedenkstätten_600 ©Screenshot Frauke Adesiyan

Es diskutierten (von links oben nach rechts unten): Prof. Dr. Krzysztof Ruchniewicz (Willy Brandt Zentrum), Dr. Anja Hennig (Viadrina), Dr. Andrea Genest (KZ-Gedenkstätte Ravensbrück), Prof. Dr. Jörg Hackmann (Universität Stettin) und Dr. Axel Drecoll (Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten).


Dass die erinnerungspolitischen Konfliktlinien nicht nur zwischen Deutschland und Polen sowie verschiedenen Opfergruppen verlaufen, machten Axel Drecolls Ausführungen deutlich. Er beobachte einen brüchiger werdenden gesellschaftlichen Konsens in Deutschland: „Der Umgang mit Sprache verändert sich, Rassismen und antisemitische Stimmungen werden geäußert und diese Sprache schafft politische Wirklichkeiten.“ Wo diese Wirklichkeiten den humanitären Auftrag von Gedenkstätten angreifen, solle man nicht nur diskussionsbereit, sondern kämpferisch sein, plädierte er. „Wenn wir nicht Stellung beziehen, werden wir unglaubwürdig“, so seine Überzeugung. Eine wertfreie Beschäftigung mit NS-Verbrechen gebe es nicht.

Die Frage, was denn ein liberales Geschichtsnarrativ beinhalte, beantwortete die Viadrina-Historikerin Prof. Dr. Claudia Weber in der anschließenden Diskussion mit dem folgenden Plädoyer: „Widersprüche mitdenken, sie bewusst thematisieren und auch Aspekte betrachten, die uns eigentlich nicht passen.“ Diese Herangehensweise könne eine Stärke sein, so ihr Fazit.

Axel Drecoll und Andrea Genest äußerten am Ende der Veranstaltung den Wunsch, auch künftig eng an die Wissenschaft angebunden zu sein. „Studierende in die Gedenkstätten und Gedenkstätten an die Unis“, dafür warb Axel Drecoll. Genau dadurch könne man gemeinsam für einen Perspektivreichtum einstehen.
Die Diskussion ist ab sofort im Medienportal der Viadrina abrufbar.
(FA)

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