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Frontex, eine EU-Agentur mit der Tendenz zur Verselbstständigung – Gastvortrag von Bernd Kasparek

Enthüllungen des Spiegels und anderer Medien sowie die Preisgabe interner Dokumente in der Sendung des Satirikers Jan Böhmermann werfen ein schlechtes Licht auf die EU-Grenzschutzagentur Frontex. Der Kulturanthropologe Bernd Kasparek (Universität Göttingen) forscht seit Jahren zu Grenzregimen und der Rolle von Frontex. In einem Gastvortrag an der Viadrina am 10. Februar hinterfragt er eine krisengetriebene Europäisierung.

Die Liste der Vorwürfe ist lang: Beteiligung an Pushbacks von Geflüchteten, Vertuschung, Mobbing, Korruption, keine Beteiligung von Menschenrechtlerinnen und Menschenrechtlern, Treffen mit der Rüstungsindustrie … Fabrice Leggeri, Chef der Europäischen Grenzschutzagentur Frontex, sieht sich starkem medialen Druck und einer offiziellen Untersuchung des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) ausgesetzt. „Es ist heute aber nicht mein Anliegen, eine Anklage gegen den Direktor der Agentur vorzulegen“, sagt Bernd Kasparek zu Beginn seines Online-Vortrags, der gemeinsam vom Viadrina Center B/ORDERS IN MOTION und dem Viadrina Institut für Europa-Studien (IFES) organisiert wurde. Der Migrationsforscher und Frontex-Experte erklärt, dass dies, sollten die Vorwürfe stimmen, OLAF übernehmen werde.

Letztlich kommt Bernd Kasparek aber nicht umhin, Forderungen an Frontex und die EU zu formulieren, die sich aus seiner jahrelangen Forschung am Schreibtisch und im Feld ergeben. Besonders die auf Ebene der EU beschlossene Einstellung von 10.000 Grenzschützerinnen und Grenzschützern bis 2027 sei kritisch zu betrachten. „Ich halte diese Entwicklung für gefährlich“, erklärt Bernd Kasparek. Es sei im Design der Agentur jedoch angelegt, wie übrigens bei jeder der 40 Agenturen in der EU, dass sie sich politischer Kontrolle entziehen wolle und könne. Im Unterschied aber beispielsweise zur Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) oder der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) wirke Frontex nicht abstrakt. „Mit ihren exekutiven Kompetenzen wirkt die Agentur direkt auf die Innenpolitik und damit auf die Grundrechte von Menschen.“ Grund für diese Entwicklung der Verselbstständigung sei eine Verschränkung von Migrations- und Grenzschutzpolitik. Man sollte, so Kasparek, auf europäischer Ebene diskutieren, was Migration für die Europäische Union bedeutet und sich nicht ausschließlich auf Technologie und Wissenschaft berufen. Es bedürfe einer Re-Politisierung der Frontex-Frage, so Kasparek – auch wenn, so räumt er ein, die technokratische Argumentation vermeintlich die einfachere wäre. Dies würde jedoch den demokratischen Ansatz des gesamten europäischen Projektes infrage stellen.

Bernd Kasparek umreißt in seinem Vortrag auch, wie es dazu kam, dass Frontex so massiv an Kompetenzen gewonnen hat. Geplant war die Behörde einst als Dienstleister, als sie 2005 ihr Hauptquartier in Warschau bezog. Waren Staaten mit ihrem Grenzschutz überfordert, sollten sie sich an die Agentur wenden, um Technik und Expertise zu erhalten. Zugleich wurden durch das Schengener Abkommen und die Abschaffung der Grenzkontrollen an den Binnengrenzen in der EU die Zuständigkeiten unklar. Wer organisiert und kontrolliert die Migration an den Grenzen der Europäischen Union? Menschliche Katastrophen, wie das Bootsunglück 2013 vor Lampedusa mit mehr als 360 Toten verschärften die Situation. Den Ländern mit EU-Außengrenzen wirft Brüssel vor, die Frontex-Expertise nicht genutzt zu haben. Schon daher sei es nun besser, so Brüssel, ihre Grenzpraktiken durch eine EU-weit agierende Behörde beaufsichtigen zu lassen. Gibt es Verfehlungen, könne auch der Ausschluss aus Schengen drohen. Was daraus geworden ist, ist der Forschung und den Medien zu entnehmen. „Die Registrierzentren haben sich zu Internierungslagern gewandelt“, sagt Bernd Kasparek und verweist auf die Hot Spots, wie etwa Moria auf der griechischen Insel Lesbos. Er resümiert: „Die Krise ist zum Motor der Europäisierung geworden.“ Wie dies zu bewerten ist, sei nach Ansicht von Bernd Kasparek nicht die Aufgabe der Forschung. „Wir hören zu und ordnen ein“, erklärt er. (HST)

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