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„Wir müssen fernräumliche von nahräumlicher Mobilität unterscheiden.“ – Diskussion über Perspektiven nach Corona in der Doppelstadt

Wie die Menschen in der Doppelstadt Frankfurt (Oder) und Słubice die Corona-Pandemie erleben und welche Lehren sich daraus ziehen lassen – zu diesen Fragen hatte das Viadrina Center B/ORDERS IN MOTION am 7. Juli erstmals gezielt regional Betroffene mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ins Gespräch gebracht.

„Von heute auf morgen musste ich mich entscheiden: Arbeit oder Familie“, schilderte Grenzpendlerin Urszula Pawlik, die in Słubice wohnt und in Frankfurt (Oder) arbeitet, die unmittelbare Auswirkung der Grenzschließung auf ihr tägliches Leben. „Schweren Herzens habe ich mich für die Arbeit entschieden, jeden Abend mit meinen Kindern telefoniert, die mit ihrem Vater auf der polnischen Seite geblieben sind.“ – Psychisch sehr belastend sei diese Zeit gewesen, für sie, aber auch für ihre Kinder.

 Lgobuch_Wie_weiter_nach_Corona ©Viadrina Center B/ORDERS in Motion

Plötzlich und reflexartig seien die Einschränkungen an der Stadtgrenze erfolgt, bestätigt Dr. Marcin Krzymuski. Einfluss hätten die Kommunen nicht gehabt auf die Entscheidung, die Grenze am 28. März 2020 vollständig zu schließen: „Uns blieben nur Appelle an die nationalstaatlichen Entscheidungsträger; wir konnten nur versuchen, die Folgen zu mildern.“ Da das Bedürfnis nach Information groß gewesen sei, habe man eine Hotline eingerichtet: „Schnell waren wir zentrale Anlaufstelle für Grenzpendelnde aus ganz Deutschland und Polen“, so der Mitarbeiter des Frankfurt-Słubicer Kooperationszentrums. Und auch Linda Pickny, Referentin für Stadtmarketing und Mitinitiatorin der Kulturmanufaktur in den Gerstenberger Höfen, berichtete: „Die Grenzschließung war ein Dämpfer für die Kultur der Doppelstadt.“

 „Die Pandemie hat gezeigt, dass es dringend geboten ist, grenzübergreifende Städte, wie die Doppeltstadt Frankfurt (Oder) und Słubice, als einen zusammenhängenden Raum zu denken“, führte Sozialwissenschaftler Dr. Norbert Cyrus die Fäden des vielstimmigen Online-Gespräches in einer Forderung zusammen. „Was wir brauchen, ist ein europäisch-kommunales Hybrid für Pandemieverwaltung, eine Einheit für Pandemie bei der Europäischen Kommission, die nicht nationalstaatlich, sondern regional agiert“, so der Migrations- und Grenzexperte.

Dass Regierungen angesichts der Pandemie ihre nationalstaatlichen Grenzen geschlossen hätten, sei verständlich – und insbesondere angesichts der unsicheren Wissenslage rund um das Corona-Virus auch eine probate Maßnahme gewesen: „Grenzschließungen sind bis heute das einfachste und symbolisch wirksamste Mittel nationalstaatlicher Regierungen, um angesichts von vermeintlich von außen drohenden Gefahren ein Sicherheitsgefühl zu erzeugen.“ Zudem zeigten die Infektionszahlen deutlich, dass die Einschränkung von Mobilität die Ansteckungsraten verlangsamt hätten. Zugleich aber könne man grenzüberschreitende Doppelstädte, die stark miteinander verbunden seien, nicht einfach voneinander trennen. „Die Pandemie hat uns gezeigt, dass wir fernräumliche von nahräumlicher Mobilität unterscheiden müssen.“

(MG)

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