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„Dann müssen wir etwas Eigenes gründen!“ – Interview zum zehnjährigen Bestehen des Zentrums für Interdisziplinäre Polenstudien

Am 17. Juni 2011 wurde am Collegium Polonium die Gründung des Zentrums für Interdisziplinäre Polenstudien an der Viadrina verkündet. Über die Anfänge und die Ausblicke des Zentrums berichtet seine Leiterin Prof. Dr. Dagmara Jajeśniak-Quast im Interview.

2006 attestierte das Deutsche Polen-Institut (DPI) in Darmstadt einen Rückgang der Polen-Kompetenz und ein Defizit an Vernetzung der Forschenden zu diesem Themenbereich in Deutschland. Wie kam es von dem festgestellten Defizit zur Gründung des Zentrums für Interdisziplinäre Polenstudien an der Viadrina?

Prof. Dr. Dagmara Jajeśniak-Quast: Viele Lehrstühle mit Polen-Bezug wurden oder waren zu diesem Zeitpunkt bereits abgewickelt. An keiner deutschen Universitäten gab es ein Zentrum für Polenstudien. Zudem fehlte es an Fachkongressen, die eine wissenschaftliche Plattform für einen Austausch hätten bieten können. Es folgten Gespräche mit dem DAAD, mit der Deutsch-Polnischen Wissenschaftsstiftung und der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit. Ausgeschrieben wurde eine fünfjährige Anschubfinanzierung für die Etablierung eines Poleninstituts, um die sich die Universitäten bewerben konnten. Zwischen den Zeilen wurde der Viadrina allerdings nahegelegt, sich nicht darauf zu bewerben. Befürchtet wurde, dass sie eine allzu große Konkurrenz für die anderen darstellen könnte. Der damalige Viadrina-Präsident Dr. Gunter Pleuger sagte daraufhin: ‚Das gibt’s doch gar nicht! Dann müssen wir etwas Eigenes gründen!‘ Er sprach mit der Brandenburger Forschungsministerin Prof. Dr. Sabine Kunst. Schließlich bekam die Viadrina ebenfalls eine Anschubfinanzierung von fünf Jahren für die Gründung eines eigenen Zentrums – außer Konkurrenz also.

ZIP-MA-Mosaik-600px ©Heide Fest

Das Kern-Team: Prof. Dr. Dagmara Jajeśniak-Quast (Leitung des Zentrums für Interdisziplinäre Polenstudien), Marek Kłodnicki (Geschäftsführung, Studierendenbetreuung, Sekretariat), Dr. Anna M. Steinkamp (Akademische Mitarbeiterin), Dr. Mark Keck-Szajbel (Akademischer Mitarbeiter), Dr. Gero Lietz (Chefredakteur der Schriftenreihe Interdisciplinary Polish Studies), Dr. Małgorzata Szajbel-Keck (Akademische Mitarbeiterin), Johannes Kleinmann (Akademischer Mitarbeiter), Iryna Tkachivska (Wissenschaftliche Hilfskraft), Anna Labentz (Chefredakteurin der Wissenschaftsplattform Pol-Int), Dr. Frank Grelka (Akademischer Mitarbeiter), Aleksandra Polkowska (Redakteurin Wissenschaftsplattform Pol- Int), Dr. Falk Flade (Akademischer Mitarbeiter), Konrad Jacek Walerski (Akademischer Mitarbeiter), nicht im Bild: Susanne Orth (Koordinatorin für Wissenschaftsmanagement), Dr. Stephan Rindlisbacher (Akademischer Mitarbeiter), Antje Wilke (Wissenschaftliche Hilfskraft)
Fotos+Collage: Heide Fest


Wann nahmen Sie persönlich die Arbeit auf?

Im ersten Jahr gab es noch keine Professur am Zentrum, da das Berufungsverfahren für solche Stellen durchschnittlich ein Jahr in Anspruch nimmt. Deshalb wurde das Geld des ersten Jahres an sechs Doktorandinnen und Doktoranden an der Viadrina und am Collegium Polonicum vergeben, die ihre Dissertation zu einem Thema mit Polenbezug schrieben. Die kommissarische Leitung des Zentrums übernahm im ersten Jahr Prof. Dr. Werner Benecke. Zusätzlich wurden Computer und weitere Arbeitsmittel eingekauft. Die erste Kandidatin, die das Zentrum schließlich leiten sollte, sagte ab, weshalb mich die Kommission bat, zunächst die Leitung zu übernehmen, was ich ab dem 1. April 2012 tat – später bewarb ich mich dann auf die Professur und erhielt diese. Unsere Feierlichkeiten zum zehnjährigen Jubiläum beginnen bereits in diesem Jahr, denn wir wollen so an die Ursprünge der Arbeit unseres Zentrums erinnern.

 Wie sahen die Anfänge des Zentrums aus, gab es einen Plan?

Es gab weder ein Büro noch Mitarbeitende. Zumindest gab es aber die sechs Promovierenden schon. Meine erste Amtshandlung war daher, Stipendien für sie zu organisieren, um die weitere Finanzierung ihrer Promotionsprojekte zu sichern. Einen sehr guten Partner fanden wir in der Hanns-Seidel-Stiftung, die auch den Aufbau eines Graduiertenkollegs förderte. Voraussetzung für die Teilnahme war, dass die Betreuung der entstehenden Doktorarbeiten eine gemeinsame Angelegenheit aller drei Viadrina-Fakultäten sein sollte. Erwünscht waren außerdem interdisziplinäre Projekte sowie Polnischkenntnisse der Promovierenden. So kamen noch weitere acht Promotionsstudierende an unser Zentrum, die sehr gute, anwendungsorientierte Arbeiten verfassten. Für das Zentrum gab es noch kein Konzept. Das Gute daran war: Ich konnte selbst etwas schaffen, niemand mischte sich ein. Dabei genoss ich große Freiheiten und das Vertrauen der Uni-Leitung.

Im Namen des Zentrums steht das Wort „interdisziplinär“. Was ist damit verbunden?

Den Anspruch, interdisziplinär zu arbeiten, verfolgen zwar viele – aber nicht immer ist das leicht. Die meisten Qualifikationsarbeiten werden an einer Fakultät geschrieben und werden dann vor allem daran gemessen, was sie für das jeweilige Fach geleistet haben – alles andere zählt nicht. Deswegen habe ich gesagt: Wenn wir interdisziplinär arbeiten, dann richtig! Wenn jemand beispielsweise quantitative Sozialforschung betreibt, sollte er oder sie auch lernen, wie Sozialforschung qualitativ funktioniert. So konnten Wiwis, Jurist:innen und die Kuwis voneinander lernen.

Welche Arbeitsweise hat sich mittlerweile am Zentrum etabliert, was ist das Besondere?

Wir sind mehr als ein gewöhnlicher Lehrstuhl. Vor allem arbeiten wir fakultätsübergreifend, wir haben also stets die gesamte Universität und das Collegium Polonicum vor Augen und nicht „nur“ eine Fakultät.

Unsere Arbeit fußt auf drei Säulen. Die erste Säule ist die Forschung, ohne die wir uns nicht weiterentwickeln können: Themen finden, Projekte umsetzen, Polen „übersetzen“. Gegenwärtig forschen viele bei uns am Zentrum zu unterschiedlichen Fragen der Systemtransformationen in Ostmitteleuropa.

Die zweite Säule: Was wären wir ohne Studierende, was ohne Lehre? Wir bieten in allen drei Fakultäten Lehrveranstaltungen an. Und das in drei Sprachen: Polnisch, Deutsch und Englisch, oft in Kooperation mit den jeweiligen Lektoraten des Sprachenzentrums. Weitere wichtige Elemente sind Exkursionen, das Graduiertenkolleg und die Sommerschule.

Die dritte Säule: Vernetzung. Bereits im Dezember 2012 begannen wir mit einem Workshop, um eine digitale Plattform für Polenstudien aufzubauen. 2014 ging ‚Polenstudien Interdisziplinär‘ – oder kurz: Pol-Int – schließlich online und versammelt heute ca. 2.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt. Pol-Int ist dreisprachig und nutzungsorientiert: Man kann dort über seine Abschlussarbeit berichten, seine Publikationen hochladen, sich einen Überblick über andere Forschende verschaffen, Call for Papers einstellen und so weiter.

Unsere Forschenden und Nachwuchswissenschaftler:innen pflegen Kontakte auf mehreren Kontinenten. Ich persönlich bin beeindruckt, dass wir Polenforschung von Japan bis in die USA betreiben können und freue mich, dass Diskussionen über Polen auch Tausende Kilometer von Mitteleuropa entfernt stattfinden.

Wohin steuert nun das Zentrum? Was wird wichtig werden?

Wir haben die Mängel, die in der Bestandsaufnahme 2006 identifiziert wurden, behoben. Nun müssen wir darauf achten, auf diesem hohen Niveau weiterzuarbeiten. Zum Glück sind wir nicht mehr allein. In Halle-Jena wurde das Alexander-Brückner-Zentrum für Polenstudien – kurz ABZ - gegründet. Sowohl mit dem ABZ als auch mit dem DPI stehen wir in einem regen Austausch. Wir unterstützen uns gegenseitig, auch wenn wir verschiedene Profile haben und liefern gemeinsam den Beleg für die hohe wissenschaftliche Polenkompetenz in Deutschland. 

Wenn ich zurückschaue auf die letzten zehn Jahre: Nun ja, ich habe zehn Kilo abgenommen und wenig geschlafen, aber es hat sich gelohnt! Nun gilt es für unser Zentrum, sich kontinuierlich weiterzuentwickeln, wozu auch die Evaluierung des Geleisteten gehört. Gleichzeitig dürfen wir uns aber auch nicht zurücklehnen, da die Polenforschung nach wie vor eine Nische ist. Polen ist wichtig, es passiert ständig Neues, und das müssen wir erklären. Polen muss im globalen Kontext gezeigt werden. Und genau deshalb ist es auch so wichtig, Regionalstudien zu betreiben, wie wir es tun: Polen zu „übersetzen“, unsere tiefgehenden Kenntnisse über Polen in Relation zu setzen, zum Beispiel zur europäischen Geschichte.

Was macht für Sie persönlich das Zentrum besonders?

Was mir besonderen Spaß macht: Die Zusammenarbeit mit meinen Kolleginnen und Kollegen! Ich versuche es so oft wie möglich zu sagen: Es ist für mich wie ein Lottogewinn, in einem solchen Team arbeiten zu dürfen. Es ist sehr engagiert und unterstützt mich, und unsere Teamtage, Studienreisen und Weihnachtsfeiern sind ein Genuss. Das A und O ist, dass man gerne miteinander Zeit verbringt! Ja, und manchmal verbringe ich mit meinen Kolleginnen und Kollegen mehr Zeit am Tag als mit meiner Familie.

(HST)

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