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Das Weimarer Dreieck in der Epoche des Streites – Kritische Auseinandersetzung mit dem deutsch-polnisch-französischen Verhältnis

Anlässlich des 30. Geburtstages des Weimarer Dreiecks haben die Viadrina, die Stiftung Genshagen und das Centre Marc Bloch am 2. September 2021 zu einer Online-Diskussionsveranstaltung eingeladen. „30 Jahre Weimarer Dreieck: Welche Perspektiven für die europäische Integration?“ lautete die Frage, der sich die Europaminister Frankreichs, Polens und Deutschlands und ein wissenschaftliches Panel stellten.

Dass dieser 30. Geburtstag nicht mit Schulterklopfen und Eigenlob begangen wird, machen schon die ersten Begrüßungsworte deutlich. Deutschland, Frankreich und Polen haben bei allen Meinungsverschiedenheiten und Konflikten – ob sie wollen oder nicht – eine Verantwortung für die Zukunft Europas, mahnt Dr. Martin Koopmann, Vorstand der Stiftung Genshagen. Der Rahmen für den politischen und wissenschaftlichen Austausch an diesem Nachmittag ist damit gesteckt und die Teilnehmenden füllen ihn in den kommenden zwei Stunden kritisch und leidenschaftlich aus. >>>weiterlesen

Screenshots: Heide Fest

Auch die Europaminister der drei Länder verdeutlichen in ihren eingeblendeten Videostatements, dass von ihnen keiner an oberflächlichem Händeschütteln interessiert ist. Der deutsche Staatsminister Michael Roth appelliert, die drei Länder müssten ihr politisches Gewicht gemeinsam nutzen. Voraussetzung dafür sei es, Konsens in einer Frage herzustellen. „Was macht uns zu Europäerinnen und Europäern? Das sind nicht nur die Währung und der Binnenmarkt“, betont er. Zuvorderst stehe eine Wertegemeinschaft, die Demokratie, Medienfreiheit, Unabhängigkeit der Justiz und den respektvollen Umgang mit Minderheiten voraussetze. Vor diesem Hintergrund sagt er: „Das Weimarer Dreieck im Jahr 2021 ist vielleicht sogar lohnenswerter denn je.“

Roths französischer Amtskollege Clément Beaune sieht in den Meinungsverschiedenheiten zwischen den Ländern keinen Grund für einen Bedeutungsverlust des Weimarer Dreiecks: „Die Gegensätze sind der Grund, warum wir weitermachen müssen. Aber das Format und die Inhalte müssen erneuert werden.“ Konrad Szymański, Staatssekretär für europäische Angelegenheiten in Polen, stimmte zu, dass man sich die Zukunft Europas nicht ohne ein gutes Verhältnis zwischen den drei Ländern vorstellen könne.

Die von der Journalistin Rosalia Romaniec klug moderierte, wissenschaftliche Runde im Anschluss diskutierte, ob es überhaupt noch eine Kompatibilität zwischen den Ländern gebe. Die polnische Soziologin Dr. Karolina Wigura konstatiert, dass die Epoche der Versöhnung von einer Epoche des Streites abgelöst worden sei. Die für sie in dieser Phase entscheidende Frage laute: „Einigen wir uns in Europa auf die liberale Demokratie oder gestatten wir einzelnen davon Abstand zu nehmen?“ In eine ähnliche Richtung argumentiert der französische Politologe Prof. Dr. Thierry Fabre; der fordert, das Weimarer Dreieck müsse dorthin gehen, wo es wehtut und sich beispielsweise mit den drängenden Migrationsfragen beschäftigen. „Wir können den Mittelmeerraum nicht länger als Seefriedhof betrachten“, mahnt er. Gemeinsam müsse man unter Berücksichtigung aller schwierigen Themen diskutieren, wie man sich das Europa des 21. Jahrhunderts vorstelle.

Der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Claus Leggewie - telefonisch zugeschaltet und daher nicht im Bild zu sehen - erkennt angesichts des Dissens’ mit der polnischen Regierung, die durch ihre innenpolitischen Entwicklungen und europapolitische Orientierung außer Reichweite geraten sei, ganz konkret die Klimapolitik als Feld, auf dem das Weimarer Dreieck seine integrative Kraft für Europa beweisen können. Allerdings sagt er auch: „Wir können über das Weimarer Dreieck in zehn Jahren überhaupt nur noch sprechen, wenn es einen Regierungswechsel in Polen gibt.“ Noch einen Schritt weiter geht Karolina Wigura mit ihrer pointierten Äußerung, dass die gesamte EU auf dem Spiel stehe, wenn sie die Abkehr von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in ihren Staaten akzeptiere: „Ohne gemeinsame Werte kann die Europäische Union nicht funktionieren.“ Nach dem Motto „pessimistisch denken, optimistisch handeln“ gelte es nun allerdings nicht hinzuschmeißen, sondern die Diskussion der Grundwerte im Weimarer Dreieck zu befördern und den europäischen Enthusiasmus in der Bevölkerung wiederzubeleben.

Dass der bei allen Konflikten auf der nationalen politischen Ebene durchaus existiert, macht Viadrina-Präsidentin Prof. Dr. Julia von Blumenthal deutlich. „Die hohe politische Ebene ist nur ein Teil der europäischen Integration. Sie wird getrieben von einer Vielzahl von Organisationen, Initiativen und einzelnen Menschen“, so ihre Beobachtung.
(FA)

Zum Mitschnitt der Veranstaltung

Prof. Dr. Claus Leggewie hat seinen Beitrag zum Podium in diesem Artikel veröffentlicht: Tangente statt Dreieck
Das „Weimarer Dreieck“ liegt brach. Bürgerschaftliche Partizipation kann die deutsch-französisch-polnische Kooperation wiederbeleben.

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