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„Wir wollen den Namen Karl Dedecius wieder in die Welt hinauswerfen, denn man vergisst ihn. Man vergisst oft schneller die Übersetzer als die Autoren“, erklärt die Leiterin des Karl Dedecius Archivs im Collegium Polonicum, Dr. Agnieszka Brockmann, das Anliegen der neuen Ausstellung „Karl Dedecius. Zwischen Worten – zwischen Völkern“. Die Schau besteht aus 16 zweisprachigen Tafeln mit teilweise bislang unveröffentlichten Materialien aus dem Nachlass Dedecius‘ im Archiv, aus Familienbeständen sowie jenen Institutionen, deren Gründung der Menschenfreund und Netzwerker Dedecius unterstützt hat, wie beispielsweise das Deutsche Polen-Institut Darmstadt und sein Karl-Dedecius-Preis. >>>weiterlesen
Wer Polnisch lesen mag, geht die Innenrunde; die deutschsprachige Version ist auf dem äußeren Rundgang zu sehen: Dedecius als Junge einer deutschen Familie im von ihm so gern idealisierten, multikulturellen Łódź der Zwischenkriegszeit. Abitur 1939, Reichsarbeitsdienst, Einzug zur Wehrmacht – Armeeorchester, dann Einsatz an der Ostfront. Sowjetische Gefangenschaft, Russischlernen mit Lermontow und Heimkehr zu seiner Verlobten nach Weimar. Ein bisschen DDR, aber dann bald BRD. Verwaltungsarbeiten, Übersetzungsarbeiten, Polnische Bibliothek (Biblioteka polska), Anthologien und Gründung des Polen-Institutes. Acht Ehrendoktorwürden, mehr als 60 Auszeichnungen und Preise – für sein Schreiben, für sein Übersetzen sowie später für seine Vermittlung zwischen Deutschland und Polen.
Unter den Exponaten sind illustrierte Gedichte aus dem Tagebuch seiner Gefangenschaft zu sehen, Übersetzungstechniken mit Papierschnipseln, persönliche und liebevoll verzierte Korrespondenzen mit polnischen Schriftstellern oder auch der Entlassungsschein „Sprawka“, den Dedecius, wie eine gute Million weiterer heimkehrender deutscher Wehrmachtssoldaten in den Nachkriegsjahren in Frankfurt (Oder), ausgehändigt bekam. Folgegenerationen von Übersetzer:innen und Dedecius-Preisträger:innen teilen ihre Eindrücke über den Namenspatron ihrer Auszeichnung.
Ausblick: Historische Einordnung als „Einer von Vielen“ steht noch aus
Die Ausstellung deutet an, was es in Dedecius‘ Biografie noch zu entdecken geben könnte, wenn die Archivmaterialien tiefgehender und interdisziplinärer erschlossen würden. Bisher, erklärt Agnieszka Brockmann, hätten sich vor allem Literaturwissenschaftler:innen mit Dedecius beschäftigt. So sind seine Beziehungen zu Schreibenden und Dichtenden gut erfasst. Würden sich aber künftig auch andere Disziplinen mit jenem Narrativ befassen, das bisher vor allem Dedecius selbst mit seinen Erinnerungen „Ein Europäer aus Łódź“ und seinen Erzählungen geprägt hat, könnten bestehende Leerstellen noch Spannendes zu Tage fördern: Welche Position vertrat seine Familie innerhalb der Stadtgesellschaft von Łódź? Wie genau verlief sein Militärdienst, seine Zeit in Stalingrad? Welche Details aus der Gefangenschaft fehlen noch, um seinen Aufstieg vom einfachen Häftling zum Übersetzer zu verstehen? Was ist Mythos oder Verdrängung? „Es wird Zeit, dass sich auch Historiker damit beschäftigen“, meint Agnieszka Brockmann, „und ihn als Einen von Vielen einordnen.“
Die Jubiläumsschau lädt derweil weiter ein zum Kennenlernen und Nachfragen. Und hat schon in der Entstehung dafür gesorgt, dass die Person Dedecius bekannter wird: Denn eine besondere Herausforderung für die Ausstellungsmacher:innen seit Oktober 2020 war auch die Einbindung des studentischen Kreises der Avantgardisten aus Łódź. Vier der insgesamt 16 zweisprachigen Informationstafeln gestalteten sie im Anschluss an einen fünftägigen Workshop in Słubice, wo sie die Arbeit im Archiv und an Ausstellungskonzeptionen kennenlernten. In monatelanger Bearbeitungszeit füllten sie die Themen Kindheit und Jugend, literarische Kontakte, akademische Auszeichnungen und Auszeichnungen in Polen mit Bildern, Zitaten und Schemata. Auch für die grafische Umsetzung zeichnet eine Absolventin der Łódźer Universität verantwortlich.
Organisatoren, „Wander-Route“ und weitere Empfehlungen
Anlässlich des 100. Geburtstages des Übersetzers haben das Karl Dedecius Archiv, die Karl Dedecius Stiftung gemeinsam mit der Universität und dem Stadtmuseum Łódź diese kurzweilige und zweisprachige Schau erarbeitet. Seit der Premiere bei den Jubiläumsfeierlichkeiten im Mai in Łódź wurde die Ausstellung bereits in Krakau und Katowice gezeigt.
Bis zum 2. Januar 2022 kann sie im Collegium Polonicum besucht werden, danach ist sie noch bis zum 13. Februar 2022 im Gräfin-Dönhoff-Gebäude der Viadrina zu sehen, bevor sie weiter nach Poznań, Bydgoszcz und später auch wieder nach Deutschland wandert.
Ebenfalls erschienen ist, anlässlich des Jubiläums in diesem Jahr, auch die gemeinsame, zweisprachige Monografie „Inter verba – inter gentes“, herausgegeben von Dr. Ilona Czechowska (Karl Dedecius Stiftung) und Prof. Ernest Kuczyński (Universität Łódź), die auch in der Bibliothek des Collegium Polonicum ausleihbar ist.
Mehr Informationen zum Karl-Dedecius-Jahr finden Sie im dazugehörigen Veranstaltungskalender.
Fotos und Text: Peggy Lohse
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